Forschungsprojekt

Forschungsprojekt der AEP AG zur Weiterentwicklung von echtzeitfähigen Simulationssystemen im Kontext der Produktionsplanung und -steuerung

Als eines der zentralen Merkmale der sog. vierten industriellen Revolution (I 4.0) wird die Echtzeitsteuerung der Produktion hervorgehoben. Dabei soll den Verantwortlichen Entscheidern ein digitales Abbild sämtlicher Produktionsaktivitäten ohne Zeitverzug zur Verfügung gestellt werden. In diesem Zusammenhang werden die klassischen Produktionskenngrößen wie bspw. Termintreue, Durchlaufzeit, Bestände, Qualität, Ressourcenverbrauch etc. in den Vordergrund gestellt. Die Interpretation dieser Kenngrößen und deren Einfließen in Entscheidungsprozesse bleiben jedoch unvollständig, wenn ausschließlich die technische Ziele (Kosten, Zeit und Qualität) bei der Planung und Steuerung der Produktion im Fokus stehen. Die Höhe und der zeitliche Vollzug der Produktion haben einen wesentlichen Einfluß auf die Höhe und die zeitliche Verteilung von Erfolgs- und Liquiditätssalden. Dieser Umstand wird in der Praxis der Unternehmensplanung und -steuerung weitestgehend ignoriert. Stattdessen orientiert sich die Praxis überwiegend an den klassischen Methoden des betrieblichen Rechnungswesens und Management-Accountings. Diese Methoden sind geprägt von:

•    Dominanz der Absatzmengen im Hinblick auf die Planung von Kosten, Erlösen, Beständen, Finanzmittelbedarfen  
•    Verdichtung des Unternehmensgeschehens in der Erfolgsdimension auf eine Verkaufserfolgsrechnung. (Deckungsbeitragsrechnung)
•    Indirekte Liquiditätsbedarfsermittlung im Rahmen von sogenannten Kapitalflußrechnungen und Cash-Flow-Rechnungen

Softwareapplikationen zur Unterstützung der Unternehmensplanung und -steuerung sind in großer Anzahl auf dem deutschsprachigen Markt verfügbar. Im Bereich der D-A-CH - Regionen gibt es inzwischen über 70 Anbieter von Controlling-Softwaresystemen mit Schwerpunkt Unternehmensplanung. Allen Anbietern ist gemeinsam, dass sie ausschließlich die o.g. Methoden der Verkaufserfolgsrechnung in ihren Systemen implementiert haben. Die Liquiditäts- und Finanzplanung orientiert sich demgemäß ausschließlich an der Erfolgsplanung ergänzt durch pauschale Annahmen zur Entwicklung bestimmter Bestandsgrößen (bspw. Roh- und Hilfsstoffe, fertige Erzeugnisse, Anlagen etc.). >95% der Anbieter berücksichtigen in Ihren Modellen nicht die erforderlichen Basis-Datenstrukturen von Industrieunternehmen. Sie folgen einer einfachen Buchungslogik wobei reine Accounting-Modelle mit dem Konto als Basis-Datenstruktur im Vordergrund stehen. Die Darstellung von Simulationen und Planungen in Kontoform ist jedoch aus planungslogischer Sicht eine Sekundär-Planung. Die Primär-Planung besteht hingegen aus den mengenorientierten Teilpläne der Unternehmung. Diese sind eigentlich eine notwendige Voraussetzung für die Erstellung von Sekundär-Plänen. Die marktgängige Software unterstellt somit, dass die Sekundär-Pläne ohne die Verzahnung mit den Primär-Plänen sinnvoll erstellt werden könnte.     
Diese Annahme ist von der betrieblichen Realität jedoch weitestgehend entkoppelt:  

•    Zunehmende Marktdynamik und Volatilität erzeugen immer größere Schwankungen in den Lagerbeständen
•    Höhe und zeitlicher Verlauf der Produktion sind in den meisten Unternehmen vom Absatzmengenverlauf entkoppelt. Der Ausnahmefall der Realität (Verkauf = Produktion) wird somit zum Regelfall der planerischen Unternehmenspraxis erhoben!
•    Die Materialbeschaffungs- und Materialbereitstellungszeitpunkte sowie die Größe von Wiederbeschaffungs-Losen hängen nicht allein von den Verkaufsmengen ab
•    In den klassischen Planungs-Werkzeugen der Unternehmenspraxis wird unterstellt, dass alle Beschaffungs-, Produktions- und Verkaufsvorgänge zeitgleich d.h. mit unendlich hoher Produktionsgeschwindigkeit ablaufen. Produktionsvorgänge vollziehen sich jedoch in der Zeit d.h. die zeitliche Dynamik des Produktionsvollzuges führen zu sich permanent ändernden Lagerbeständen und Liquiditätsabflüssen  
•    Die gängigen Planungsmethoden unterstellen, dass sich Beginn, Durchführung und Bereitstellung der Produktion stets in der Periode des Bedarfs vollziehen (Demand = Supply zu jedem Zeitpunkt?) Daraus folgt wiederum, dass die Materialbeschaffungsmengen mit den Materialverbrauchsmengen identisch sind
•    Die Produktionsmengen mit den Verkaufsmengen identisch sind
•    Restriktionen im Hinblick auf begrenzte Produktionskapazitäten, Lagerkapazitäten, Kreditlinien etc. nicht vorhanden sind


Es ist offensichtlich, dass die realitätsfremden Modelle der Verkaufserfolgsrechnung, insbesondere in Form von reinen Kontenmodellen, zu fehlerhaften Aussagen und falschen Entscheidungen führen:  

•    Sich abzeichnende Liquiditätsengpässe werden nicht rechtzeitig erkannt
•    Ermittelte Ergebnisse sind planungslogisch falsch
•    Die Liquiditätsplanung geht von falschen Prämissen aus
•    Restriktionen im Hinblick auf begrenzte Kapazitäten (Produktion, Lager etc.) und Kreditlinien werden falsch beurteilt
•    Abweichungsursachen werden nicht oder zu spät erkannt
•    Anpassungsmaßnahmen werden nicht oder zu spät eingeleitet
•    Falsche Investitionsentscheidungen werden getroffen
•    Die Rentabilität von bestimmten Verkaufsvorgängen wird falsch eingeschätzt

Am Markt gibt es kein System, dass alle relevanten Einflußgrößen in einem Ein-Schritt-Rechenmodell in Echtzeit darstellen kann. Die vorhandenen Systeme bieten daher keine Möglichkeit, eine ganzheitliche Echtzeitsteuerung und Planung von Industrieunternehmen zu realisieren. Sie sind somit nicht geeignet, integrativer Bestandteil von Planungs- und Steuerungslösungen im Rahmen von Industrie 4.0 zu sein. Diese Einschätzung wird von diversen Studien gestützt.
Ein-Schritt-Rechenmodelle folgen dem bekannten Prinzip von Tabellenkalkulationssoftware. Die Änderung einer Größe führt in der Wahrnehmung des Anwenders zur automatischen Neuberechnung aller abhängigen Formel-Größen in einem einzigen Rechenschritt. Aufgrund der Komplexität und der anfallenden Datenmengen, scheiden Tabellenkalkulationssysteme allerdings als Lösungsoption grundsätzlich aus. Vor diesem Hintergrund ist eine neue Softwareklasse erforderlich, die zur Realisierung einer zieladäquaten Echtzeitsteuerung und -planung alle relevanten Einflußgrößen in einem durchgängigen und ganzheitlichen System integriert und abbildet. Hierdurch wird das Sichtbarmachen von ökonomischen Auswirkungen im Hinblick auf veränderte Absatzmengen, Produktionsmengen, Fertigungsreihenfolgen etc. in der Erfolgs-, Finanz- und Bilanzrechnung überhaupt erst sinnvoll ermöglicht. Diese Forderung führt zu komplexen Datenstrukturen und großen Datenmengen, die im Rahmen der Planung und -steuerung verarbeitet werden müssen. Daraus folgt, dass das System mit einer extrem hohen Rechengeschwindigkeit die Ergebnisse aus verschiedenen Simulationsläufen verfügbar machen muss.   

Die Anforderungen, die sich aus einer durchgängigen und umfassenden Abbildung der relevanten Einflußgrößen ergeben, können überblicksartig wie folgt zusammengefaßt werden:

•    Dynamische Dispositionsverfahren zur Ermittlung kostenoptimaler und zugleich lieferservicegradkonformer Wiederbeschaffungsmengen für Material und Erzeugnisse
•    Erzeugung und Simulation von Auftragsnetzen zur Ermittlung durchführbarer Produktionspläne innerhalb gegebener Ressourcen-Bestände (Maschinen, Personal)
•    Integrierte Mengenplanung sämtlicher Bestands- und Flußgrößen aus Produktion, Vertrieb und Logistik die einen relevanten Einfluß auf die Erfolgs- und Liquiditätssalden haben
•    Gesamterfolgsrechnungen als Basis für die Liquiditäts- und Finanzplanung statt reiner Verkaufserfolgsrechnungen
•    Abbildung eines Drei-Komponenten-Systems in der Finanzsphäre statt des bisher üblichen Zwei-Komponenten-Systems.
•    Parallele Erzeugung unterschiedlicher Entscheidungsgrundlagen je nach Entscheidungssituation auf Basis verschiedener Kostenrechnungs-Methoden
•    Integrationsfähigkeit mit APS- und PPS-Systemen
•    Offene und flexible Schnittstellen zur Anbindung von Spezial-Applikationen (bspw. Transport- und Konditionenplanung, Detail-Planung der Personalkosten, Personaleinsatzplanung, Vertragsdatenbanken, Workforce-Management, Predictive Analytics, …)
•    Verbindung zu strategischen Planungs-Applikationen (bspw. SOLYP, Consideo)     

Das Forschungsprojekt kombiniert somit drei zentralen Forschungs- und Anwendungsszenarien des Industrie 4.0-Themenspektrums: Echtzeitsteuerung, Integration und Simulation.